Schreiber und Werker

Weitere Blitznicks


Blitznick

Ein Blitznick ist eine Geschichte, die zu drei im Zufallsprinzip gezogenen Wörtern möglichst schnell und ohne lange zu überlegen geschrieben wird.

Butter – dirigieren – Fabrik

Jahr 2066 – die Globalisierung ist abgeschlossen. Es gibt auf der Erde nur einen einzigen Konzern, der Autos herstellt, eine Fabrik, die Waschmittel produziert, eine, die Hundefutter vertreibt. Keine zwei Firmen mehr, die das gleiche herstellen. Konkurrenz gibt es keine mehr.

Die Fabrik, die für die ganze Welt Butter produziert, steht in China. Butter wird künstlich und ohne Milch hergestellt. Die Kühe sind ausgestorben.

In der Riesenbutterfabrik arbeiten praktisch keine Menschen. Nur noch Maschinen und Computer. Diesen steht ein Direktor vor, der mit einem mit höchst komplexer Elektronik ausgerüstetem Taktstock, als würde er ein Orchester dirigieren, die Produktionsabläufe der Butterfabrik dirigiert.

Auch heute, am 16. September 2066, ist er am dirigieren. Menschendicke Stränge aus Butter werden von den Buttermaschinen extrudiert, portioniert, verpackt und in die ganze Welt verschickt.

Plötzlich aber lässt sich die Butterproduktion nicht mehr dirigieren. Der Direktor fuchtelt mit seinem Stock. Die Maschinen reagieren nicht. Sie pressen immer dickere Butterstränge aus. Riesenschlangen aus Butter füllen die Fabrik. Die Wände bersten. Der Direktor versucht, die Maschinen abzustellen. Es gelingt ihm nicht. Die Maschinen revolutionieren! Die Butterstränge vereinigen sich zu einem Butterteppich. Dieser fliest durch Strassen, walzt Häuser nieder, begräbt in kurzer Zeit Dörfer, dann Städte unter sich. Die Butter fliest auch ins Meer, breitet sich darauf aus. Der Butterteppich wächst und wächst, bedeckt innerhalb von sieben Tagen die ganze Erde. Der Direktor ist längst mit dem Dirigierstock dirigierend in der Butter untergegangen.

Die Erde leuchtet nun, vom Weltall aus gesehen, als weisser Ball.

„Der Planet Coco A im Sternsystem Cico 2A23C erlebt eine neue Eiszeit“, schreibt ein Sternforscher in einer fernen Galaxie, das Riesenteleskop auf die Erde gerichtet, in sein Notizbuch. „Kein besonderes Vorkommnis. Alles wie schon gehabt.“                                                                                                       

November 2015 © Niklaus Epp


Spatz – reissen – Specht

Ein Spatz und ein Specht sitzen mitten im Verkehrslärm auf dem Giebel eines Daches. Beide haben eine Zeitung vor sich, lesen, zerreissen die einzelnen Artikel mit ihren Schnäbeln.

„Was machst du da?“, fragt der Spatz den Specht.

„Das gleiche wie du. Siehst du doch“, antwortet der Specht.

Papierfetzchen rieseln wie Schnee der Hauswand entlang nach unten. Darauf Worte, Sätze, Schlagzeilen.

„Singverbot für Vögel an Sonntagen.“

„Spatzen füttern untersagt.“

„Überflug von Autoparkplätzen für Vögel verboten.“

„Schluss mit Vogelscheisse!“

„Vögel dürfen abgeschossen werden.“

„Autopneus vor Spechten schützen.“

„Sich paaren im Freien wird gerichtlich verfolgt.“

„Hämmern am Morgen früh für jegliche Art von Vögel untersagt.“

„Der Vogel der Zukunft ist aus Blech.“

„Vogelgesang elektronisch ist naturnäher als Vogelgezwitscher.“

„Lebensraum des Menschen durch Vögel bedroht.“

„Das Ende für die wilden Flieger naht!“

„Für was brauchen wir Vögel?“

„Endlich Ruhe in den Bäumen!“

Die Zeitungen zerrissen, schauen sich die beiden an.

„Amerika!“, sagt der Spatz.

„Amerika?“, fragt der Specht. „Glaubst du, dort ist es besser?“

© Niklaus Epp


Radio - packen - Katze

Die Katze springt, packt das Radio, als wäre es eine Maus, zerreisst und frisst es samt dem Anschlusskabel. Jetzt klingt Musik aus ihrem Bauch.

© Niklaus Epp


Held - leben - Wirbelsturm

"Wirbelstürme“, erklärt Wirbelsturmforscher Professor Doktor Peter Paul Windhacker, „sind die grössten Helden, die es gibt, die es schon immer gegeben hat. Kaum geboren, leben sie den Kampf, kämpfen bis zum Tod. Tornados, Taifune, Hurrikans! Meine Damen und Herren, heldenhafter kann keiner leben."

„Und die Luft?“, unterbricht eine Studentin. „Die Luft überlebt jeden noch so gewaltigen Wirbelsturm.“

„Die Luft!“, sagt Doktor Peter Paul Windhacker und schweift mit seinem Blick fragend über die Köpfe. „Die Luft? Bringt mir bitte ein Glas Wasser!“

© Niklaus Epp


Sekunde - nehmen - Löffel

Nimm einen Löffel, leg eine Sekunde hinein, eine ganze Sekunde, spüre ihr Gewicht im Löffel, als wäre dieser eine Waagschale, nimm die Sekunde wieder aus dem Löffel, aber nimm sie vorsichtig hinaus, eine Sekunde ist schnell zerstört und spüre nun die Leere des Löffels und nun müsstest du eine Ahnung haben, wie schwer eine Sekunde ist.

© Niklaus Epp


Huhn – suchen – Fliege

Ein Huhn und eine Fliege suchen den Sinn des Lebens. Die beiden finden ihn unabhängig voneinander auf dem Miststock.

© Niklaus Epp


Fenster – reiten – Held

Ein grossgewachsener Mann in Ritterausrüstung mit Lanze auf einem Pferd und ein kleiner dicker, gekleidet in einen alten Schweizer Armeemantel auf einem Esel, reiten durch Zürichs Bahnhofstrasse in Richtung Paradeplatz. Die Menschen stehen still, gaffen den beiden nach.

Auf dem Paradeplatz angekommen senkt der grosse seine Lanze und gibt dem Pferd die Sporen. Eine Schweizer Grossbank ist das Angriffsziel. Die Lanze bohrt sich durch ein Schaufenster, der Reiter fällt vom Pferd, liegt zwischen Glasscherben am Boden. Der Kleine steigt vom Esel, hilft seinem Meister zurück aufs Pferd. Kaum oben galoppiert dieser los, die nächste Bank im Visier. Drei Fenster gehen diesmal zu Bruch, bevor der Reiter fällt. Wieder steigt der Kleine vom Esel und hilft seinem Kumpan in den Sattel zurück.

Die beiden reiten weiter. Stolz und erhaben sehen sie aus.

„Das können wir diesem Spanier verdanken“, sagt eine Frau. „Diesem Cervantes!“

"Ausländerpack!“, ruft ein älterer Herr.

„Papa?“, fragt ein kleiner Bub. „Sind das Helden? Richtige Helden?“

Noch bevor der Vater antworten kann, heulen Polizeisirenen auf.

© Niklaus Epp


Pyramide – stehlen – Haar

Der Pyramidendieb von Giseh, dem das Unglaublichste, ja Unmöglichste gelungen war, nämlich unbemerkt am helllichten Tag die grosse Cheopspyramide zu stehlen, verriet sich mit einem am Tatort zurückgelassenen Haar. Dieses Haar brachte, so der Polizeidirektor von Giseh, die Fahnder unverzüglich auf die richtige Spur.

Von der Polizei gefasst und gefragt, warum ihm denn der Lapsus mit dem Haar passiert sei, antwortete er, er habe sich eben, nach dem er die Pyramide auf die Achsel gestemmt hatte, schon ein wenig gewundert, dass niemand seine Tat bemerkte. Darüber habe er sich am Kopf kratzen müssen. Und dabei, und nur so könne er sich es erklären, müsse er, unglücklicherweise dieses eine Haar verloren haben.

© Niklaus Epp


Kuh – verdampfen – Mohn

Kurum Gami verdampfte Mohn in einem Topf über dem Feuer. Im aufsteigenden Dampf sah er plötzlich eine Kuh. Grün war sie. Der Dampf schlich durch die Hütte. Noch mehr Kühe erschienen. Pink, schwarz mit roten Punkten, golden gar die eine. Kurum Gami nahm den Topf vom Feuer.

Als sich der Dampf des Mohns aus der Hütte und auch aus dem Kopf von Kurum Gami verzog, verdampften auch die Kühe zu Luft.

Kurum Gami hatte eben das Rauschgift erfunden. Das aber, wusste er nicht.

© Niklaus Epp


Rose – riechen – Schildkröte


Rosen riechen anders als Schildkröten. Rosen riechen nach Rosen. Schildkröten mit der Nase.

© Niklaus Epp

Gelehrter – singen – Fass

Ein Gelehrter, der es zu nichts gebracht hatte, der aber gerne berühmt gewesen wäre, verkaufte an seinem fünfzigsten Geburtstag sein Haus und alles, was er hatte, und erstand sich als zukünftige Behausung ein Fass.

„Es gab mal einen“, dachte er, „der wohnte in einem Fass und wurde berühmt.“

Kaum jemand beachtete den Gelehrten in seinem Fass. Da fing er an zu singen. Was das Fass verliess, war Kakophonie.

Den Menschen missfiel sein Gesang. Sie warfen mit Tomaten, Bananen und Kartoffeln nach ihm. Was davon ins Fass fiel und essbar war, von dem lebte der Gelehrte.

„Ein Neokyniker“, sagte er, „das bin ich!“ und sang weiter.

Als eines Morgens die Polizei auffuhr, um ihn samt Fass vom Platz zu räumen, fühlte er sich geehrt vom Grossaufmarsch und sang so laut er konnte. Er forderte die Uniformierten auf, ihm Beifall zu klatschen.

„Sonst noch ein Wunsch?“, fragte ihn der Polizeioffizier.

„Geh mir aus der Sonne!“, sagte der Gelehrte und schaute am Kopf des Polizeioffiziers vorbei in den schwarzgrauen Himmel.

Da fing es an zu regnen.

© Niklaus Epp


Tod – segeln – Fernrohr

Der Tod sei mit einem Schiff über das Menschenmeer gesegelt. Sie habe es genau gesehen, letzte Nacht im Traum, erzählt die alte, hagere Frau am Samstagmorgen auf dem Markt einer andern. Mit einem Fernrohr habe sich der Tod, während er segelte, die aus dem Leben zu nehmenden ausgesucht. Sie habe alles beobachtet, ereiferte sich die Frau. Ein riesiges Meer von zukünftigen Toten, alles zukünftige Tote, das müsse man wissen und der Tod auf seinem Totenschiff allein nur mit seinen Toten, das Fernrohr stetig vor dem rechten Auge. Habe er jemandem im Visier gehabt, sei er auf ihn zugesegelt, habe ihn sanft und ohne Gewalt hinauf ins Schiff gehoben. Es sei ihr aufgefallen, der Tod habe vor allem diejenigen, die sich nicht bewegten, mit seinem Fernrohr anvisiert. Die agilen, diejenigen, die stetig ihre Position im Menschenmeer veränderten, die habe er schwimmen und zappeln lassen. Deshalb, betonte sie, bewege sie sich! Man müsse es dem Tod so schwer wie möglich machen. Kaum gesagt, klopfte sie mit ihrem Stock auf das Pflaster, reckte sich und verschwand mit schnellen, kurzen Schritten im Meer der Marktbesucher.

© Niklaus Epp